The Last of Us und die Rückeroberung urbaner Räume durch die Natur

Achtung, dieser Artikel kann Spoiler enthalten, die Hinweise zum Verlauf des Spiels geben!

Abbildung 1: THE LAST OF US (Screenshot). Der Startbildschirm.


Ein Fenster mit zerbrochenem Glas und verwittertem Rahmen. Eine Gardine, halb zerrissen und mit Staub bedeckt. Durch die Löcher in den Fensterscheiben dringt schwaches Licht in den Raum. Und im schwachen Schein des Lichtes eine Pflanze, deren Ranken sich vorsichtig durch die Brüche im Fenster in das Innere des Zimmers tasten. 

Schon der Startbildschirm deutet es an: Das Umgebungsdesign in The Last of Us (Naughty Dog 2013) wird bestimmt von einer allumspannenden Flora. In der Analyse der Naturgestaltung des Spiels lässt sich feststellen: Die Darstellung der Natur in The Last of Us und die daraus entstehende Naturästhetik verkörpern die Zustände der postapokalyptischen Welt im Spiel detaillierter als die Narration des Spiels selbst. Darum lohnt es sich, hier einmal ausführlicher in die Seele des Spiels zu schauen.

Der Startbildschirm mit der Pflanze, die durch das zerbrochene Fenster ragt, zeigt einen vorsichtigen Optimismus, der sich im Spiel selbst nur selten finden lässt. Er weist hin auf eine zerstörte Welt, eine kaputte Welt, in der die Hoffnung der Menschen vielleicht nur durch die kleinen pflanzlichen Lichtblicke in der Umgebung symbolisiert werden kann. 

Die Geschichte von The Last of Us handelt von Joel, einem Schmuggler, welcher das 14-jährige Mädchen Ellie quer durch ein von einer Zombie-Apokalypse geplagtes Amerika begleitet. Ellie besitzt offenbar eine Immunität gegen die von Pilzsporen ausgelöste, den Menschen in untote Wesen verwandelnde Krankheit, weswegen sie als Hoffnung der Welt auf einen Impfstoff gilt. Hoffnung in einer hoffnungslosen Welt, in der die Menschheit jeglichen Glanz, der einmal im Menschlich-Sein existierte, verloren hat.

Abbildung 2: THE LAST OF US (Screenshot). Verlassene Hochhäuser zu Anfang des Spiels.


In der Gestaltung von The Last of Us wird die Vorstellung einer Umwelt in einem Zeitalter nach dem Anthropozän dargestellt, eine Umwelt, in der eine postapokalyptische Naturästhetik das 
Spiel dominiert. Einstige Wolkenkratzer sind eingestürzt oder zeigen Spuren des Verfalls in Form von zerbrochenen Scheiben. Den Häusern fehlt jedes Leben – die menschliche Baukunst mit ihren architektonischen Meisterwerken ist nun wertlos. Eine Repräsentation des Niedergangs der Menschheit als Konsequenz einer Krankheit, die sich nicht beherrschen lässt. Ebenso, wie die Menschen durch die Pilzsporen des Cordyceps befallen und von ihm überwuchert werden, werden die menschengebauten Gebäude von den Pflanzen überwachsen. 

Abbildung 3: THE LAST OF US (Screenshot). Ein verlassenes, von Efeu überwachsenes Hotel.

Viele Orte sind von ihren Bewohnenden verlassen worden und werden nur noch von Zombies und Plünderern heimgesucht. Dort, wo die Menschen verschwunden sind, nimmt sich die Natur ihre Räume zurück. Ein verlassenes Hotel, in dem sich Efeu-Ranken ein neues Zuhause gesucht haben, lädt dazu ein, die Screenshot-Funktion der PlayStation 4 zu verwenden und die trotz der angespannten, bedrückenden Atmosphäre beinahe malerisch anmutenden Szenerien bildlich festzuhalten. Die von Efeu überwachsenen Gebäude erinnern an Märchenschlösser, an Orte im Dornröschenschlaf, die darauf warten, irgendwann erkundet und wieder erweckt zu werden. Sie wirken verwunschen, wie aus einer längst vergessenen Zeit, bedeckt von einer Schicht aus Blättern und Wurzeln. In jenen Momenten zwischen den vielen Kämpfen, die Joel und Ellie austragen müssen, lässt sich auch kurz vergessen, dass das Spiel eigentlich in einer grausamen Welt voller Schmerz stattfindet. 


Und auch, wenn viel Spielzeit in den Kampf mit Zombies und Plünderern fließt, liegt der Reiz des Spiels zu großen Teilen in der Erkundung der Umgebung. Neben Gegenden mit zahlreichen Notizen, welche Hinweise auf vergangene Geschehnisse enthalten, gibt es Orte, an denen es möglich ist, Ausschau zu halten – zwar immer im Hinblick auf das nächste Ziel der Erzählung, aber sicherlich auch mit der Absicht, das kunstvolle Umgebungsdesign zu präsentieren. 

Abbildung 4: THE LAST OF US (Screenshot). Auf den Dächern der Stadt. Rechts ist ein überwachsenes Gebäude zu sehen.

Auf diesem Bild liegt der Fokus durchaus auf dem Gebäude in der Ferne, untermalt von einem farbenprächtigen Sonnenaufgang. Dennoch ist in dieser Ansicht bewusst das Gebäude auf der rechten Seite zu sehen, von Pflanzen überwuchert. Auch der Lüftungsschacht, welcher sich vor den Protagonist*innen befindet, ist verrostet und verdreckt – alles Hinweise darauf, dass eine Gebäudepflege durch den Menschen in dieser Welt keine Priorität zu haben scheint.

Die von The Last of Us präsentierte Darstellung einer Umwelt ist eine Zukunftsvision, in der der Mensch seine Vormachtstellung verloren hat. Die Positionen im Ökosystem Erde haben sich verschoben zu Gunsten nicht-menschlicher Entitäten. Zum einen ist da selbstverständlich der Cordyceps, der durch seine Fähigkeit, die bisher herrschende Spezies, den Menschen, zu übernehmen, die Kontrolle über die Umwelt erlangt. Zum anderen profitiert davon auch die Umwelt selbst, die bislang unter der Herrschaft des Menschen stand und sich nun, da diese Verhältnisse nicht mehr bestehen, freier entfalten kann.


Die Erkundung der Welt von The Last of Us mit ihren zerstörten Gebäuden, den verlassenen Orten und dem unbeherrschbaren, ungreifbaren und gerade deswegen allgegenwärtigen Cordyceps lässt eine weitere Form der Ästhetik erkennen: Die Ästhetik des Morbiden. Das Morbide, Düstere, der Tod und der Verfall sind zentrale Themen in der Narration des Spiels und ziehen sich als Elemente ebenso durch die Spielwelt. Skelette und verfallene Körper sowie die Zombies selbst sind als Beispiele hier zu nennen. So verstörend sie sein mögen, so faszinierend ist gleichzeitig die Gestaltung der Infizierten, in der zu erkennen ist, wie das Menschliche langsam aus dem Menschen verschwindet und der Körper vom Pilz übernommen wird. 

Abbildung 5: THE LAST OF US (Screenshot). Eine Konzeptgrafik, die die Verwandlung eines Menschen nach einer Infektion darstellt

Die oben abgebildete Konzeptgrafik zeigt verschiedene Stadien einer solchen Transformation. Eine Infektion mit den Pilzsporen ist weder reversibel noch heilbar, sodass eine Verwandlung unausweichlich ist und die Menschen im Prinzip dem Tode geweiht sind. Durch die konstante Angst vor einer Infektion mussten viele Menschen ihre Heimat verlassen und es hat sich in den Großstädten („Quarantänezonen“) eine Gesellschaft der Kontrolle durch das Militär entwickelt. Ländlichere Gebiete sind entweder verlassen, werden von Plünderern heimgesucht, oder werden von unabhängigen Gruppen im Rahmen von Wiederbesiedlungsmaßnahmen neu bewirtschaftet. Ein demokratisch vereinigtes Amerika scheint es nicht mehr zu geben – nun existieren Institutionen der militärischen Kontrolle in den Großstädten sowie ein Zustand der weitgehenden Gesetzlosigkeit außerhalb dieser vom Militär beherrschten Räume. Wenige Ausnahmen stellen die im Laufe des Spiels besuchte Stadt Jackson, welche unter anderem von Joels Bruder Tommy ähnlich wie eine Kommune verwaltet und bewirtschaftet wird, sowie das von der Rebellengruppe „Fireflies“ organisierte Krankenhaus, welches im Laufe der Geschichte besucht wird, dar.

Abbildung 6: THE LAST OF US (Screenshot). Eine vom Militär beherrschte Quarantänezone


Die urbanen Räume, welche noch als solche existieren, sind ausschließlich in den vom Militär beherrschten Quarantänezonen zu finden. Die Urbanität ist vornehmlich zu Beginn des Spiels vertreten und ist verbunden mit Kontrolle, sozialer Ungerechtigkeit und einem kollabierten Regierungs- und Wirtschaftssystem. Soziale Unzufriedenheit beherrscht die Stimmung in der Stadt, wo die Lebensmittelkarten knapp sind und sich eine große Schmuggler-Szene gebildet hat. Die Stadt ist grau, die Stimmung wirkt deprimiert – das Stadtleben als das größte Symbol für die Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit der Menschen in der Postapokalypse, in der der Mensch seine Position an der Spitze des Weltsystems verloren hat.

Abbildung 7: THE LAST OF US (Screenshot). Eine Giraffe mitten in der Stadt.

Der Mensch vertrieben, die Landschaft außerhalb der großen Städte aufgegeben – diese Gegebenheiten stellen die Grundlage für die Rückeroberung urbaner Räume durch die Natur. Wo die Menschen ihre Häuser verlassen haben, finden Pflanzen ein neues Zuhause. Die dargestellte postapokalyptische Naturästhetik basiert auf diesen Entwicklungen. Durch den fehlenden Einfluss des Menschen kann sich die Natur an Orten, von denen sie einst vertrieben wurde, erneut ausbreiten – beispielsweise im oben gezeigten verlassenen Hotel oder an den Wänden der eingestürzten Hochhäuser. Abseits der Betonwände der bewohnten Städte gibt es viele Orte postapokalyptischer Natur, in denen sich Ökosysteme aus den Überresten menschlicher Zivilisation und pflanzlicher und tierischer Rückeroberung gebildet haben. Tiere, welche ursprünglich nicht auf dem amerikanischen Kontinent heimisch waren und aus Zoos oder Forschungseinrichtungen stammen, haben für sich neue Räume gefunden. Die oben abgebildete Szene mit den Giraffen zeigt eindrucksvoll, was nach dem Rückzug des Menschen mit der Natur passieren kann, wenn die durch den Menschen gesetzten Einschränkungen (z.B. Zäune in Zoos) wegfallen. Eine Szene wie diese ist selbstverständlich weitaus weniger subtil als die bewachsenen Gebäude, die von den Kameraeinstellungen im Spiel nur selten explizit beleuchtet werden. 

Die Narration des Spiels setzt den Fokus hauptsächlich auf die Charaktere Joel und Ellie und ihre Erfahrungen in der Welt, in der sie sich bewegen. In der Einleitung der Geschichte wird der Anfang der weltweiten Katastrophe erzählt; der eigentliche Zeitraum der Erzählung spielt jedoch 20 Jahre danach und umfasst nur wenige Monate. Was in der Zwischenzeit, in diesen 20 Jahren geschieht, wird in der Narration nur spärlich beleuchtet, denn zu den Erfahrungen Joels und Ellies gehören vorrangig Szenen des Kampfes in feindseligen Umgebungen, in denen keine Zeit ist, um über die Vergangenheit zu reden. Die Aufgabe, diese verlorenen Jahre zu erzählen, wird somit nicht der Erzählung selbst, sondern der Umwelt, in welcher diese stattfindet, zuteil. Während die Narration sich hauptsächlich auf zwei Menschen (Joel und Ellie) konzentriert, umfasst die Spielumwelt mehr Personen, mehr Schicksale und auch mehr Hintergründe über die Geschichte der weltumspannenden Krankheit. Kurzum: Die Umwelt erfasst viel mehr, als die Narration zeigt. Die verlassenen Gebäude, die von Pflanzen überwachsen sind, waren einmal das Zuhause von Familien, waren Urlaubs- und Arbeitsorte. Spuren davon lassen sich in fast jedem Ort, der innerhalb der Erzählung besucht wird, finden. So lässt sich in einem verlassenen Haus das Tagebuch eines Jungen finden, welches Umzug der Familie in eine Quarantänezone dokumentiert. Der marode Zustand des Hauses lässt erahnen, wie lange jene Familie schon fort ist. 

Auch die Natur selbst trägt ihren Teil dazu bei, die Zeiträume des Verfalls darzustellen. Es dauert schließlich eine Weile, dass Pflanzen sich in menschlichen Räumen ausbreiten können, bis hin zur Überwucherung ganzer Hotelgebäude. Dieses Pflanzenwachstum ist selbst auch ein Zeichen der menschlichen Abwesenheit – die Menschen sind fort, niemand ist mehr da, um sich um die Instandhaltung von Hotels und Wohnhäusern zu kümmern. Menschliche Abwesenheit führt also zwangsläufig zu pflanzlicher Anwesenheit. 

So lässt sich also feststellen, dass die postapokalyptische Natur als Teil der gesamten Szenerie des Spiels zu betrachten ist. Die ökologische Ästhetik in The Last of Us ist Konsequenz der Krankheit, die die Menschen aus ihren gewohnten Räumen vertrieben hat und so den Raum für die Natur schafft, sich die bislang von Menschen bewohnten Gebiete erneut anzueignen. Letztendlich ist die Naturästhetik zwar ein Teil des Spiels, der dafür sorgt, die richtige Stimmung zu vermitteln, dabei jedoch nicht die Hauptrolle der Spielerfahrung darstellt. Denn am Ende geht es um die emotionale Reise von Joel und Ellie, die die Narration einnimmt und den Spielenden in Erinnerung bleibt. 

Text von Jana Türülümow (BA Europäische Medienwissenschaft), Praktikumskraft beim DIGAREC